Mittwoch, 23. Januar 2013

Vor 50 Jahren: Letzte Schicht in der Grube Karl - Das Ende des Erzbergbaus in Geislingen


Im Januar vor 50 Jahren ging in Geislingen-Altenstadt die kurze aber intensive Ära des Erzbergbaus zu Ende, die das Stadtbild maßgeblich mitbestimmt und ein gutes Stück zur Prosperität der Bürgerschaft beigetragen hatte.
 
 

Anfänge in den 1920er Jahren


Nach wenig erfolgversprechenden Anfängen in den 1920er Jahren setzte die eigentliche Entwicklung des Erzbergbaus in Geislingen 1934 ein, als die Gutehoffnungshütte Oberhausen das Schürfrecht an den Geislinger Grubenfeldern vollends erwarb. Zuvor hatten die Schwäbischen Hüttenwerke die Schürfrechte inne, die bereits 1921 gemeinsam vom württembergischen Staat und der Gutehoffnungshütte Oberhausen gegründet worden waren. So wurde im Jahre 1921 im Gewann Hagnach am westlichen Ortsende von Altenstadt in Richtung Kuchen der 'Karlsstollen' bis auf 314 m Länge in die erzführenden Schichten des Michelbergs vorgetrieben. Doch wegen mangelnder Rentabilität stellte man bereits 1924 die Arbeiten wieder ein. 

Der Karlstollen um 1950, der Fahrdamm für Erzloren mit Brech- und Siebanlage, vom Stolleneingang her gesehen





Der Erzabbau in Geislingen gewann schließlich nicht nur durch die Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches große Bedeutung, sondern vor allem dadurch, dass die Gutehoffnungshütte über ein Verhüttungsverfahren verfügte, bei dem auch saures Erz wie das Geislinger mit rund 20% Kieselsäuregehalt durch Zugabe von anderen kalkreichen Erzen verhüttet werden konnte. Das hier geförderte Erz wurde zur Verhüttung ins Ruhrgebiet transportiert. Der weite Transportweg bildete insofern kein Hindernis, als die Eisenbahn das Erz zu billigen Tarifen mit den leeren Kohlenzügen, die ohnehin in das Ruhrgebiet zurückfuhren, befördern konnte. Der Geislinger Bergwerksbetrieb lieferte 2,5% des deutschen Erzes.

Der Staufenstolln zwischen Geislingen-Altenstadt und Bad Überkingen


Wenn sich ein Fremder in all den Jahren zwischen 1935 bis zum Abbruch der Grubenanlagen ab 1963 aus Richtung Bad Überkingen der Stadt näherte, war er überrascht, dass Geislingen-Altenstadt städtebaulich einen Eindruck erweckte, wie er sonst allgemein für das Ruhrgebiet charakteristisch war. So stark hatte das Bergwerk mit seinen rostbraun gefärbten Betriebsgebäuden, Förderaufzügen und mächtigen Erzhalden das Bild des Stadtrandes damals geprägt.

Die Grubenanlage des Staufenstolln um 1937, rechts im Hintergrund das Stollenmundloch
 





Das Grubengelände war durch die Landstraße von Altenstadt nach Überkingen in zwei Hälften geteilt, die durch eine Unterführung miteinander verbunden waren. Südlich der Landstraße standen die großen Gebäude zur Weiterverarbeitung des geförderten Erzes: eine Brech-, Sieb-, und Bunkeranlage, der Verladebahnhof, der Lokomotivschuppen, ferner die Schreinerei und ein chemisches Laboratorium. Zwischen dem Straßendamm und dem Michelsberg befanden sich das moderne Betriebsgebäude mit den Büroräumen sowie ein Magazin und die Waschkaue der Bergleute, außerdem die Werkstatt, ein Transformatorenhaus, das Lagerhaus für die Maschinenteile und Geräte und schließlich der Bahnsteig zur Einfahrt in die Grube. Eine zweispurige Gleisanlage führte über die Fils an den Abhang des Michelberges, wo sich der Eingang zum Stollen, das Stollenmundloch, befand.


Strebeinteilung der Grube Karl
zum Abbau des Erzflözes um 1937
Das Erz wurde im sogenannten Strebbruchbau abgebaut. Im Abstand von 120 m trieb man eine Kopf- und eine Bandstrecke vom Stollen in das Erzlager vor. Zwischen den beiden Endpunkten dieser vorgetriebenen Stollen wurde nun ein Verbindungstunnel hergestellt und das dazwischen liegende Erzfeld, der sogenannte Streb, war nun auf seiner ganzen Breite von 120 m für den Abbau erschlossen. Damit konnte das Auserzen des Strebs auf seiner ganzen Breite, von diesem Verbindungstunnel ausgehend, in Angriff genommen werden. Im ausgeräumten Feld 'raubte' man die letzte der vier Stützreihen mit 100 Stahlträgern und ihren Holzstempeln, die den Berg abstützten, um die neuen Hohlräume beim Vortrieb zu sichern. Das überlagernde Gebirge, das Hangende oder den 'Alten Mann', ließ man hinter sich nachbrechen, so dass der entstandene Hohlraum allmählich wieder aufgefüllt wurde.


 

Einfahrt in das Stollenmundloch

Sprengvorbereitung: Bohrung von
Löchern für die Sprenladungen
 
Stahlträger der Stützreihen im Streb


Das Auserzen - Schwerstarbeit im Streb

Der Erzbruch wird aufs Förderband geschaufelt.

Die Fracht des Förderbands kommt in die Loren zum Abtransport.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Harte Arbeit im Streb


Im Bergwerk wurde Tag und Nacht gearbeitet, und zwar in drei Schichten: Die Frühschicht dauerte von 6 bis 14 Uhr, die Spätschicht von 14 bis 22 Uhr und die Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr. Der Arbeitsvorgang der drei Schichten war so eingeteilt, dass sie zusammen in 24 Stunden auf der ganzen Strebbreite genau 1,20 m des Erzflözes abbauen konnten. In einem Streb waren pro Tag insgesamt 48 Bergleute beschäftigt (Frühschicht 21, Spätschicht 15, Nachtschicht 12). Die Grube baute jeweils in zwei Streben gleichzeitig Erz ab. Dazu wurden 2 x 48 Bergleute benötigt. Der größte Teil der bei der Grube Beschäftigten hatte mit dem Transport des Erzes nach ‚Über-Tage‘, vor allem aber mit der Erhaltung und dem Ausbau der Fahrstrecken zu tun. Ständig mussten neue Stollen für den zukünftigen Erzabbau vorgetrieben werden. Besondere Sorgen bereitete dem Werk die Erhaltung der unterirdischen Betriebsanlagen. Hoher Gebirgsdruck von unten verzog die Gleisanlagen, so dass ein ständiges Gleisbaukommando mit der Absenkung der Schienenstränge beschäftigt war. Außerdem bedurfte die Verschalung der Stollen eine ständige Erneuerung.

Grube Karl Staufenstolln: Brech- und Siebanlage links mit Förderband zum Verladebunker rechts, nach der Stilllegung 1963
 

Das gebrochene Roherz brachte die Grubenlokomotive in ihren Loren aus den beiden Streben zum 'Bahnhof' in der Hauptstrecke. Hier wurden jeweils 15 Loren zu einem Zug zusammen gestellt und über Tage zu den großen Erzbunkern befördert. Vier Aufzüge hoben die ankommenden Grubenwaggons und kippten das Erz auf zwei Siebe, die das Feinerz unter 10 mm Durchmesser durchrieseln ließen. Die Brechanlage zerkleinerte die größeren Roherzbrocken zu Körnern von höchstens 40 mm Durchmesser. Über ein Förderband gelangte nun das gebrochene Erz auf ein drittes Sieb, das nochmals Fein- und Groberz trennte. Beides wurde schließlich über ein letztes Förderband in den Groberz- bzw. Feinerzbunker entleert. Von hier aus wurde das Erz in Eisenbahnwaggons verladen. Die Tagesförderung von über 1.000 Tonnen wurde dann in einem Zug von 18-20 Erzwaggons ins Ruhrgebiet zur Verhüttung transportiert.

Kumpel unter Tage bei der Jause






  


Beerdigung des Hauers C. Brittner, 1960
 



Gefährliche Arbeit im Stollen



Die Arbeit auf Schicht in der Grube war höchst anstrengend und gefährlich. Immer wieder kam es zu Unfällen, die oft glimpflich abgingen, aber manchmal auch zum Tod von Bergleuten führte. Frau Angelika Bosler, Tochter eines Geislinger Bergmanns, erinnert sich in den Jahren von 1950 - 63 an elf tödlich verunglückte Bergleute in der Grube Karl. Am 11. Juli 1958 kamen drei Kumpel bei einer Sprengung im Stollen ums Leben. 1952 wurde einem jungen Familienvater an einer Seilhaspel ein Bein vom Becken herausgerissen. Jeder einzelne Todesfall war für alle Kumpels sehr tragisch und hatte den betroffenen Familien großes Leid gebracht.



Das Ende der Grube Karl


Seit 1955 war die Grube eine selbständige Tochtergesellschaft der Oberhausener Gutehoffnungshütte unter der Bezeichnung 'Grube Karl der Staufenstollen GmbH'. Anfang der 1960er Jahre wurde die Stilllegung der Grube wegen mangelnder Rentabilität beschlossen. Zu geringe Produktivität, der weite Transportweg zur Verhüttung und die überalterte Grubenmannschaft ließ die oberste Grubenleitung zu dem Entschluss kommen, den Betrieb einzustellen. Am 4. Januar 1963 fuhren die Geislinger Bergleute mit dem Bergmannsgruß 'Glück Auf!' zum letzten Mal in den Stollen ein.

Bereits wenige Wochen später begann man, die Werksanlagen abzubrechen, und heute sind nur noch wenige bauliche Zeugen dieses einstmals wichtigen Bergwerkbetriebs in den Neuwiesen zu erkennen. Auch die vordere Bergwerkssiedlung, die 1938/39 von der Geislinger Siedlungs- und Wohnungsbau GmbH für die herziehenden Bergleute errichtet wurde, fiel der Spitzhacke zugunsten von größeren Neubauten zum Opfer. Lediglich die hintere Siedlung blieb erhalten und ist heute nach ihrer Sanierung ein letztes Zeugnis der Altenstädter Bergbautradition.


Literatur:



Bauer, Karlheinz: Geschichte der Stadt Geislingen, Bd. 2, 1975, S. 384ff.






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