Freitag, 28. September 2012

Tag des offenen Denkmals: Der Alte Zoll in Geislingen

Am Sonntag, 9. September 2012 fand der diesjährige 'Tag des offenen Denkmals' unter dem Motto 'Holz' statt. In Geislingen wurde der Alte Zoll, ein Fachwerkhaus aud dem 15. Jahrhundert, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Interesse war groß. Insgesamt besichtigten 411 Besucher die sieben Stockwerke des Gebäudes, das die Stadt Geislingen erst im Sommer diesen Jahres erworben hat. Vertreter der Stadt Geislingen und Mitglieder des Kunst- und Geschichtsvereins sorgten dafür, dass wissenswerte Informationen beim Publikum Gehör finden und viele Fragen beantwortet werden konnten.

Zur Geschichte des Alten Zolls und seiner ehemaligen Einwohner wurde folgendes Referat vorgetragen:




Der Alte Zoll

Dieses repräsentative Gebäude mit sieben Stockwerken wurde im Zentrum der Stadt anstelle des ehemaligen helfensteinischen Zollgebäudes in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im alamannischen Fachwerkstil errichtet. Der Kasten besteht aus drei Stockwerken von denen das unterste aus Stein gebaut ist. Darüber befinden sich vier Dachstockwerke, die einst als Speicher gedient haben.

Das Giebelfachwerk ist in gotisch-alamannischer Bauweise errichtet, d.h. die Stockwerksständer sind in ihrer lasttragenden Statik durch eingesetzte Verplattungen stabilisiert. Diese kunstvollen Verplattungen haben die Form von Eichenlaub, und es ist gewiss hohe Zimmermannskunst, solche geschwungenen Verplattungen sowohl in ihrer negativen wie positiven Form passend genau herzustellen und ineinander zu fügen, so dass der Hausgiebel als Schmuckfassade zur Straße hin wirkt.

Der Alte Zoll in Geislingen
kurz nach der Renovierung um 1960

Diese besondere Ausführung eines gotischen Fachwerks deutet darauf hin, dass der Alte Zoll im Gegensatz zum Alten Bau aufgrund seiner Schmuckfassade eine andere Funktion inne hatte. Der Zoll war ein hoheitliches ulmisch herrschaftliches Gebäude, wogegen der Alte Bau durch seine Funktion als Fruchtkasten eher seinem zweckdienlichen Nutzen nach einfacher gestaltet worden ist.

Eine genaue Datierung der Errichtung dieses stattlichen Gebäudes anstelle des ehemaligen helfensteinischen Zollgebäudes ist nicht genau erwiesen. Ein sicheres Datum seines Bestehens ist das Jahr 1495. Aus anderen Quellen wurde Jahr 1462 erschlossen. In der Stadtgeschichte und in der Denkmalliste heißt es dann ausweichend ‚erbaut wohl in den ersten Jahrzehnten der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Ein wichtiger Hinweis auf diese frühere Datierung des Alten Zolls liefert das Datum 1485. Für dieses Jahr wurde nämlich als Zoller Jos Rupp und sein Gegenschreiber Johannes Lebzelter genannt.

Lebzelter hat neben seinem Brotberuf als Zollschreiber Handschriften literarischer Werke, epische oder dramatische Texte abgefasst oder in erlesener Form kopiert. So war er 1478 der Schreiber der spätmittelalterlich verfassten Sage vom Herzog Friedrich von Schwaben. Diese Sagenüberlieferung ist nur in sieben Handschriften unterschiedlicher Provenienz und inhaltlichem Ausgang der Geschichte erhalten. Lebzelters Exemplar liegt wohl heute noch in der Landesbibliothek Stuttgart und wird als die leserlichste und als die kunstvollste Handschrift betrachtet. Woher Lebzelter die literarische Vorlage bekam und wer die Abschrift bei ihm in Auftrag gegeben hatte, ist unbekannt.

Lebzelter war ansässig hier in Geislingen und Mitglied der Sebastiansbruderschaft. Also gehörte er zu den rechtschaffenen Bürgern der Stadt mit entsprechendem Ansehen. Sein Eintrag im Grundbuch der Sebastiansbruderschaft bezeugt dies mit seiner Berufsangabe ‚yberschreiber‘ gleichbedeutend im Wortsinn von Übertrager oder Kopist, und zusammen mit ‚seiner hussfräwen Barbara Vischerin genannt‘.

1593 wurde der Alte Zoll renoviert und war Amts- und Wohnsitz des Ulmer Zollers. Die oberen Etagen des Gebäudes wurden als Speicher für die Zehnten und Gülten der Geislinger Stadtkirchenpflege genutzt.

Schubartrelief am Schubartschulhaus


Mitte des Oktober 1763 kam Christian Friedrich Daniel Schubart in Geislingen an, um seine hiesige Präzeptorstelle anzutreten, die er nach der vertraglichen Vereinbarung am 12. Oktober in Ulm angenommen hatte. Schweren Herzens hatte er den Weg nach Geislingen eingeschlagen, denn er ließ in Aalen eine Liebschaft hinter sich.

Doch bereits vor seiner Ankunft hier in Geislingen wurde ihm noch in Aalen von einem Musiker ein Gruß von einem unbekannten Mädchen aus Geislingen zugetragen, die die Schwester der begleitenden Weißroßwirtin gewesen sei. Dies war die zweite Tochter des Oberzollers Bühler, der damals im Alten Zoll gewohnt hatte. Schubarts erster Gang nach seiner Ankunft galt demnach dem Oberzoller Bühler, den er am Nachmittag beehrte. Er sei dort zur Verlegenheit der ganzen Familie zuletzt ‚wie eine Bildsäule‘ dasitzend bis Mitternacht geblieben und Schlag 12 Uhr vor den Oberzoller getreten mit den Worten: ‚Herr Oberzoller, ich bekomme heute noch eine Frau … Ihre Helene!‘

Als der Vater Bühler nicht sofort zustimmen wollte, sei Schubart nur durch das Versprechen am anderen Morgen eine Antwort zu bekommen zum Verlassen des Hauses zu bewegen gewesen. Seine Braut stellte er seinen Eltern vor als ‚eine geschickte und tugendhafte Jungfer, 19 Jahre alt, nicht allzureich aber von einer Familie, die mein Glück auf die Zukunft vergrößern wird‘.

Nach dieser stürmischen Verlobung fand die Hochzeit schließlich am 10. Januar 1764, drei Tage vor dem 20. Geburtstag der Braut statt.

Die ulmische Zollstation in Geislingen fand mit der Eingliederung der Reichsstadt Ulm ins Königreich Bayern im Jahre 1803 im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses ihr Ende. In der Folgezeit diente der Zoll hauptsächlich zu Wohn- und Speicherzwecken. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden im Erdgeschoß Läden eingebaut, die bis heute dem Alten Zoll in veränderter Form geblieben sind.

Die letzte Renovierung des Alten Zolls fand 1957/58 nach damaligen Maßgaben des Landesdenkmalamtes statt. Seit kurzem ist die Stadt Eigentümerin des Gebäudes, das nun dringend erneut saniert werden muß – ein Zeichen dafür, dass Häuser in Privatbesitz nicht unbedingt besser erhalten werden als dies die öffentliche Hand zu tun pflegt.

 

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