Samstag, 19. Oktober 2024

Vor 100 Jahren: Golden flackerte die Flamme - Demokraten gründeten die Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Geislingen

Geislinger Zeitung, Anzeige
am 04.10. und 08.10.1924

Am 9. Oktober 1924, vor 100 Jahren, versammelten sich demokratisch gesinnte Kriegsveteranen, Arbeiter und Bürger aus Geislingen, um eine Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zu begründen. Zuvor wurde in der Geislinger Zeitung am 4. und 8. Oktober und gleichzeitig im Allgemeinen Anzeiger für Altenstadt eine Anzeige mit folgenden Worten veröffentlicht: „Aufruf zum Beitritt in das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer.“

Und weiter hieß es: „In seinen Reihen nimmt er jeden Kriegsteilnehmer aber auch andere Personen auf, die mit ihrem ganzen Wollen und Handeln, selbst unter Einsatz ihrer Person, gewillt sind, für die deutsche Republik einzutreten.“ Gegner der Republik, seien es Monarchisten oder Kommunisten, hätten hier keine Stätte, hieß es weiter. So wurde zur Gründungsversammlung am 9. Oktober von einem vorläufigen Ausschuss ins Bahnhofshotel eingeladen.

Begleitet wurde der Aufruf mit einem Bericht in der GZ am 4. Oktober 1924 über die Bestrebungen und Ziele des Reichsbanners, in dem führende Politiker, Reichstagsabgeordnete, Reichsminister und ehemalige Reichskanzler mitwirkten, den Staat und seine republikanische Verfassung zu schützen. Der große Zustrom an Mitgliedern zu den Organisationen des Reichsbanners beweise, dass diese Gründung in weiten Kreisen der Republik einem großen Bedürfnis entspreche.

Geislinger Zeitung, Anzeige am 23.10.1924

Eine kurze Notiz in der GZ am 11. Oktober vermerkt, dass die Gründungsversammlung zahlreich besucht war. Landesvorsitzender Alfons Buse referierte über die Bestrebungen des Bundes. Ein gewählter Ausschuss wurde beauftragt bis zur ersten Mitgliederversammlung am 24. Oktober die Geschäfte zu führen. In dieser ersten Mitgliederversammlung wurde über die Statuten bestimmt und ein Vorstand gewählt. Die beiden Vorsitzenden waren Karl Kübler, Postinspektor, und Gustav Hofschneider, Gürtler und Ciseleur in der WMF. Auch hier kam wohl das Prinzip der Parität zwischen beiden Stadtteilen Geislingen und Altenstadt zum Tragen. Beide Vorsitzende bekleideten ihr Amt dauerhaft bis zum Verbot des Reichsbanners 1933. Der Studienrat Dr. Karl Kienle galt als der theoretische Kopf des hiesigen Reichsbanners.

Anlässlich des Jahrtags ihrer Gründung veranstaltete die Geislinger Ortsgruppe am 11. Oktober 1925 eine republikanisch-vaterländische Kundgebung verbunden mit der Ehrung der Kriegsgefallenen. Über 1200 Teilnehmer wurden gezählt. Dies verdeutlichte die Popularität und den Zuspruch in der Bevölkerung. Reichsweit lag die Zahl der Mitglieder bei nahezu vier Millionen für diese überparteiliche und republikanische Organisation, in der die demokratischen Parteien SPD, DDP und Zentrum vertreten waren.

Anzeige in der Festschrift zum Republikanertag
in Ulm 1926 (Stadtarchiv Ulm)

Die Mitglieder der hiesigen Ortsgruppe kamen regelmäßig wöchentlich mittwochs im Metallarbeiterheim in der Burgstraße zusammen. Die Versammlung begann meist mit einem Vortrag des Vorsitzenden und endete nach internen Mitteilungen in geselliger Runde. Sonntags traf man sich mit Frauen und Kindern entweder privat unter Freunden zuhause oder im Metallarbeiterheim. Auf diese Weise spielte die Mitgliedschaft im Reichsbanner auch eine kameradschaftlich verbindende Rolle.

Titelseite der Festschrift (Stadtarchiv Ulm)
Ein Höhepunkt für die Geislinger Ortsgruppe war die Bannerweihe vor großer Kulisse, anlässlich des Republikanertags in Ulm am 3. Juli 1926, wie aus der dazu herausgegebenen Festschrift zu entnehmen ist. Wer bei der Geislinger Delegation dabei war, ist unbekannt. Sicher waren nicht nur die Vorsitzenden und der Ausschuss anwesend.

Reichsbanner Mitgliedsanhänger
(SPD-Ortsarchiv Geislingen)

Die Mitglieder der Geislinger Ortsgruppe waren sehr heterogen, und die Zahl schwankte zwischen 220 und 250 Mitgliedern. Hauptsächlich fanden sich hier in Geislingen Gewerkschafter, SPD-Mitglieder, zwei KPD-Mitglieder aber auch Leute aus bürgerlichen Kreisen, wie Beamte, Lehrer, Angestellte und die Geislinger Geschäftsleute Henseler und Baumeister ein.

In den späten 1920er Jahren flauten die Aktivitäten des Reichsbanners merklich ab. Der Verfassungstag am 11. August wurde immer feierlich begangen mit Ansprachen Theateraufführungen, Gesangsdarbietungen und anschließender Tanzunterhaltung.

Verfassungsfeier GZ Anzeige, 10. August 1925

 


Bemerkenswert dabei ist die Gründung eines Spielmannszugs im Jahre 1929. Er bestand aus 15 Mann, aufgeteilt je zur Hälfte in Trommler und Pfeifer. Georg Wittlinger schlug die Pauke. Hermann Banzhaf bediente den Schellenbaum. Einer der Trommler war Fritz Strohmeier, Buchdrucker und Schriftsetzer bei Maurer. Der Spielmannszug probte donnerstags im Metallarbeiterheim.


Der Spielmannszug des Reichsbanners Geislingen, 1929, (SPD-Orrtsarchiv Geislingen)

Die Gefahr für die Weimarer Republik von rechts und links schien gebannt zu sein. Doch das war nur die Ruhe vor dem Sturm. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahren grassierten wieder Massenarbeitslosigkeit, Existenzangst und Verzweiflung in der gesamten Republik, die nur noch per Notverordnung regiert wurde. Der Ruf nach dem „starken Mann“ wurde immer lauter, und Adolf Hitler entsprach diesem Vorbild.

Ankündigung einer Reichsbanner 
Kundgebung gegen den Faschismus
am 14. Mai 1931 im Stadtpark
(SPD-Ortsarchiv Geislingen)


Als sich die Nationalsozialisten und erzkonservative Kreise 1931 in der „Harzburger Front“ formierten, um die Macht im Staat zu übernehmen, erfolgte kurze Zeit darauf die Reaktion der republiktreuen Kräfte, um sich diesen reaktionären Bestrebungen entgegenzustemmen. Das Reichsbanner, die Gewerkschaften des ADGB, dem Arbeiter-Turn- und Sportbund ATSB und die SPD schlossen sich zur „Eisernen Front“ gegen die nationalistischen Kader zusammen. Immer wieder kam es in den Großstädten zu Saal- und Straßenschlachten zwischen beiden Lagern.

 

Anzeige der Eisernen Front, GZ 09.April 1932

Die Polarisierung der Gesellschaft und die allgemeine Notlage brachte die Republik 1932 an den Rand des Untergangs, der sich mit der Machtübernahme von Adolf Hitler am 30. Januar 1933 vollzog. Innerhalb weniger Monate war Deutschland eine Diktatur.

Das Überleben freiheit-licher Organisationen wie das Reichsbanner stand auf dem Spiel. In Geislingen führte das zum Generalappell am 23. Februar 1933. Es ging darum, das Metallarbeiter-heim vor dem Zugriff der SA zu retten. 30 bis 40 Mitglieder der Gewerk-schaften und des Reichsbanners besetzten das Metallarbeiterheim. Durch diese Dauerbesetzung mit Übernachtungen im Heim über ca. 3 bis 4 Wochen hinweg konnte das Heim zunächst vor dem Zugriff der SA gerettet werden. Als aber die SA mit 50 Mann anrückte und die Erstürmung des Metallarbeiterheims mit Waffen-gewalt androhte, gaben die Besetzer auf. Was folgte waren Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Schikanierung der Reichsbanneraktivisten.

GZ-Notiz vom 15. März 1933

Wenige Wochen später gab ein Zeitungsbericht in der GZ vom 15. März 1933 bekannt, dass das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold aufgelöst wurde. Die flackernde Flamme war erloschen.

 


Info-Notiz zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold:

Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde am 22. Februar 1924 in Magdeburg für republikanische Kriegsveteranen als politischer Wehrverband zum Schutz der Weimarer Republik von den drei Parteien SPD, Zentrum und DDP gegründet. Dabei verstand sich das Reichsbanner als Hüter der demokratischen Tradition der Revolution von 1848.

1953 wurde das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold unter anderen Vorzeichen neu gegründet und existiert bis heute. www.reichsbanner.de/reichsbanner-heute