Mittwoch, 27. August 2014

Sonderausstellung im Rotkreuz-Landesmuseum Baden-Württemberg in Geislingen



Handmarie und Nagelritter
100 Jahre Erster Weltkrieg
Das Geislinger Rote Kreuz und der Krieg daheim


Das Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914 setzte die Kriegsmaschinerie der damaligen Großmächte in Gang und am 1. August 1914 zogen schlafwandlerisch die europäischen Völker mit Hurra in einen Krieg, der schon nach wenigen Monaten im zermürbenden Stellungskampf zur Ernüchterung führte.

Geschmückter Transportzug im Geislinger Bahnhof August 1914
Die folgenden langjährigen Materialschlachten brachten millionenfache Opfer und unsägliches Leid für die Menschheit.

Unmittelbar nach Kriegsbeginn war dies auch in Geislingen zu spüren. Wurden anfangs noch die Soldaten, die zur Front fuhren, auf dem Bahnhof mit Getränken verköstigt, so waren es wenig später schon die ersten Lazarettzüge, in denen Schwerverletzte versorgt werden mussten.

Das Geislinger Rote Kreuz im Einsatz
bei der Sanitätsbaracke auf dem Bahnhof im Winter 1914/15
Not und Entbehrung nahm hier wie andernorts kriegsbedingt zu. Lebensmittel und Brennstoffe wurden knapp und teuer, bis schließlich – kontingentiert – Lebens-mittelmarken Einzug hielten.

Die zur Front einberufenen Männer mussten in den Fabriken wie der WMF durch Frauen ersetzt werden, die keine Kochtöpfe mehr sondern Granathülsen herstellten.


Der noch kaum benagelte
Helfensteiner Ritter beim Eingang
zum Geislinger Rathaus, 1915
Das tägliche Leben wurde weitgehend vom Krieg bestimmt. Öffentliche Einrichtungen dienten zunehmend für Einquartierungen. Aus Turnhallen, Schulen und Krankenhäusern wurden Notunterkünfte, Ersatzkasernen und Hilfslazarette.

Das Geislinger Rote Kreuz organisierte nicht nur die hiesige Verwundetenbetreuung, sondern führte auch Benefizveranstaltungen und Sammelaktionen für Hilfsbedürftige und Kriegsversehrte durch, um die allgemeine Not zu lindern.

Für diesen Zweck wurde auch 1915 der sogenannte ‚eiserne Helfensteiner‘ aufgestellt, der nach und nach mit schmiedeeisernen Nägeln beschlagen wurde. Der Kauf eines solchen Nagels kam der Kriegsversehrtenhilfe zugute.

Erst nach über vier Jahren kam es schließlich am
11. November 1918 zum Waffenstillstand. Für Deutschland war der Krieg verloren, und die Not der Nachkriegszeit mit Revolution, Arbeitslosigkeit, Hunger und Inflation begann.

Die Sonderausstellung im Rotkreuz-Landesmuseum Geislingen wurde in Zusammenarbeit mit dem Kunst- und Geschichtsverein Geislingen konzipiert und gestaltet. 
 
Rotkreuz-Landesmuseum Baden-Württemberg Heidenheimer Str. 72 73312 Geislingen, Tel.: 0 71 61 67 39-0
Öffnungszeiten: Samstag / gerade KW 11 - 16 Uhr, Sonntag / ungerade KW 13 - 17 Uhr
Die Sonderausstellung ist bis März 2015 an den Regelöffnungstagen zu besichtigen.




Donnerstag, 21. August 2014

Die Steigen rund um Geislingen


Die Steigen rund um Geislingen
Hier war die Fahrt beschwerlich für Mensch und Tier.

Geislingen liegt eingebettet im Zentrum einer Talspinne, die von fünf Tälern gebildet wird. Wer hier im Talkessel ankommt, muss zwangsläufig einen Albaufstieg zur Weiterfahrt wählen. Rund um Geislingen gibt es in alle Richtungen solche Albaufstiege, die hinauf auf das rund 120m höher gelegene Hochplateau der Schwäbischen Alb führen.
 
Luftbild von Geislingen, 1990. Man erkennt deutlich die fünf Täler die hier eine sternförmige Talspinne bilden. Vom Talgrund aus führen die Fahrsteigen hinauf auf das Plateau der Schwäbischen Alb

Diese Fahrsteigen gab es seit alters her. Sie waren einerseits die notwendigen Hauptverkehrswege für den Fernhandel, die von und zu ferneren Zielorten führten, andererseits auch die Nahverkehrsstraßen, die die umliegenden Albdörfern mit der Stadt Geislingen im Talkessel verbinden mussten.

So verband die Alte Weiler Steige schon zur Römerzeit Cannstatt mit Heidenheim, Günzburg und Augsburg und führte im Mittelalter zu den Dörfern Weiler, Schalkstetten, Stubersheim, Bräunisheim bis nach Gerstetten und Langenau.
 
Geislingen um 1850, Lithographie von F. Fleischhauer, Ausschnitt. Links der beiden Lokschuppen des Geislinger Bahnhofs sieht man, wie sich die steile Weiler Steige den Hang hinauf schlängelt. Im Vordergrund verläuft der damals baumbestandene Altenstädter Bühl, die heutige Bahnhofstraße, die die Zufahrtsstraße zur ältesten, seit der Römerzeit bestehenden, Weiler Steige war.


Seit dem Mittelalter führte die Reichsstraße von Esslingen über die Stadt Geislingen durchs Rohrachtal, die Geislinger Steige hinauf, nach Ulm. Zugleich war sie Wegverbindung zu den Dörfern Amstetten, Reuti, Ettlenschieß, Urspring und Lonsee.

Ähnliches galt für die Türkheimer Steige, die den Weg nach Laichingen und Blaubeuren wies und den Nahverkehr von und nach Türkheim, Oppingen, Nellingen und Aufhausen aufnahm.

Und schließlich die Stöttener Steige, die die Verbindung nach Donzdorf und Schwäbisch Gmünd war und die Dörfer Stötten, Schnittlingen, Nenningen und Weißenstein mit Geislingen verband.

Lediglich die jüngste, die Oberböhringer Steige, führte zu dem 1790 nach Plänen von Michael Knoll erbauten Weiler Oberböhringen und weiter nach Unterböhringen. Sie war eine reine lokale Straßenverbindung.

Neben diesen Fahrsteigen gab es drei weitere Wegverbindungen von kleinen Weilern zur Stadt, den Wittinger Steig, den Hofstetter Steig und den Gmünder Steig, die die Weiler Wittingen, Hofstett am Steig und Kuchalb verband.

Man unterschied zwischen einer Steige (mhd: ‚staiga‘) und einem Steig (mhd: ‚stic‘). Im Gegensatz zu einer Fahrsteige war ein Steig (schwäbisch auch: Stich) ein steiler Pfad, der zu Fuß oder mit einem Lasttier (Esel) begehbar war und nur eine lokale Verbindung darstellte.

Die Fahrsteigen in den Geislinger Talkessel war früher für die Bauerndörfer rund um Geislingen von größter Bedeutung, musste doch in heißen Sommern und kalten Wintern das Trinkwasser für Leute und Vieh mit Transportfässern aus dem Tal in die Dörfer transportiert werden.

Die Steigen waren steil und bei beladenen Wagen für die Zugtiere sehr beschwerlich, egal ob es bergab oder bergauf ging. Bergabwärts galt es, den Schub des Wagens mit Bremsblöcken auf den Hinterrädern zu drosseln, bergaufwärts musste dafür gesorgt werden, dass die Zugtiere nicht an besonders steilen Passagen zum Stehen kamen. Schwierig wurde es, wenn sich zwei Fuhrwerke auf der Steige begegneten. Um aneinander vorbei zu kommen, gab es Ausweichstellen. Doch dazu mussten sich die beiden Fuhrleute einig werden, wer ausweicht und wer Vorfahrt genießen durfte.

Modell eines sechsspänniger Frachtwagens, wie er seit dem Mittelalter im Fernverkehr auf der Reichsstraße von Esslingen nach Ulm unterwegs war.
 
Für den schweren Fernfrachtverkehr gab es in Geislingen die sogenannten Hauderer. Sie boten den Fuhrleuten gegen Entgeld zusätzlichen Vorspann mit Zugtieren an, um die Steilheit der Albaufstiege bewältigen zu können.
Die Jahreszahl 1870 wurde anlässlich
 der Erbauung der neuen Türkheimer Steige in den Fels eingemeißelt.


Diese alten Fahrsteige erfüllten ihren Zweck bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Eisenbahnbau und der Industrialisierung des Geislinger Talkessels wurde der Transportverkehr dichter, und der Bahnhof in Geislingen brachte Menschen und Güter nicht nur in die Stadt sondern auch zu den umliegenden Albdörfern.

Die neue Weiler Steige wurde, wie hier im Fels eingehauen,
 1919 - 1921 in schwerer Nachkriegszeit erbaut.
Dadurch wurden neue Fahr-steigen erforderlich, die den neuen Verkehrsanforderungen gerecht sein mussten. So wurden 1824 die neue Geislinger Steige nach Ulm, 1865 die neue Stöttener Steige, 1870 die neue Türkheimer Steige, 1815/16 die neue Oberböhringer Steige und 1921 schließlich die neue Weiler Steige gebaut und in Betrieb genommen. Waren das anfangs noch Kalkstraßen so wurde mit dem zunehmenden Kraftverkehr im 20. Jh. die Straßen asphaltiert und sowohl berg- wie hangseitig gesichert.